Mehrarbeit und Achtsamkeitstraining? - Empfehlungen der KMK zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel gleichen einer Bankrotterklärung

 

Die Ständige wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz betont auch in Zeiten des Lehrer:innenmangels, dass der Normalfall bleiben muss, dass Lehrerbildung Akademische Bildung ist und entsprechend in die Hand von Hochschulen und Universitäten gehört. Dem ist nur zuzustimmen.

Wo es jedoch um eine Veränderung der Praxis geht, muss eine ausschließlich aus Wissenschaftler:innen zusammengesetzte Kommission zwangsläufig scheitern. Manches stößt hier auf Unverständnis, etwa wenn gefordert wird, Klassenfrequenzen zu erhöhen, wo bislang Maximalfrequenzen aus nicht belegten Gründen unterschritten werden. Das wird doch schon seit Jahren getan. Und während die Ausweitung von Selbstlernzeiten ausführlich mit Studien begründet wird, kann für den ebenfalls vorgeschlagenen Hybridunterricht nur konstatiert werden: Belastbare Forschungsergebnisse genau zu diesem Format stehen aus.

Auf die Lehrperson kommt es an. – Das aus der Hattie-Studie abgeleitete Mantra gilt noch immer. Doch die Wertschätzung der Lehrer:innen, die sich daraus folgerichtig ergeben müsste, ist auch Jahre später ausgeblieben.

Die Höhe der Lehrverpflichtung der Lehrer:innen stammt aus einer Zeit, als sich Lehrer:innen ganz ihrem Kerngeschäft Unterricht widmen konnten. Inzwischen sind neue Felder hinzugekommen: Individuelle Förderung und Differenzierung, Integration, Inklusion, Beratungsgespräche, Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten, besondere pädagogische Herausforderungen in sozialen Brennpunkten, Steuergruppen, dauernder Reformdruck unter dem Label Schulentwicklung, ausufernde Dokumentations- und Verwaltungstätigkeiten. Unterricht und Erziehung rücken immer mehr an den Rand der täglichen Arbeit. Vollzeitbeschäftige Lehrer:innen arbeiten heute oft weit über ein übliches Maß einer Vollzeiterwerbstätigkeit hinaus. Aus diesen Belastungserfahrungen ergibt sich die hohe Teilzeitquote. Verpflichtet man diese Menschen zur Erhöhung der Teilzeithöhe bis zur Vollbeschäftigung, leidet darunter nicht nur deren Lebens- und Berufszufriedenheit, sondern führt dies auch zu einem höheren Krankenstand. (Zu dieser Problematik sagt die SWK nichts.)

Hier geht es um mehr als um die Attraktivität des Lehrerberufes, unter den hier beschriebenen Dauerbelastungen kommt die Schule ihrem demokratischen Bildungsauftrag nicht mehr nach!   Die SWK forciert diese seit Jahren zu beobachtenden Entwicklungen, indem sie als verheißungsvollen Ausweg zur Bekämpfung des Lehrer:innenmangels vor allem weitere Mehrbelastungen für Lehrer:innen vorschlägt:

Zusätzlicher Unterricht

  • Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung
  • Abschaffung von Anrechnungsstunden (die Aufgaben sollen von anderem Personal übernommen werden)

Zusätzliche Schüler:innen

  • Klassenfrequenzen erhöhen, wo bislang Maximalfrequenzen aus nicht belegten Gründen unterschritten werden
  • eine befristete Erhöhung der maximalen Klassenfrequenz in der Sekundarstufe I

Zusätzliche Aufgaben

  • systematische Begleitung migrierter Lehrkräfte in der Berufseingangsphase
  • den in Grundschulen und der Sekundarstufe I eingesetzten Gymnasiallehrkräften
    eine feste Ansprechperson im Kollegium zuweisen
  • Anleitung von Bachelorstudierenden, die ausschließlich in Assistenzfunktionen (z. B. Betreuung einzelner Schüler:innen oder Gruppen) in der unmittelbaren Regie
    einer Lehrkraft eingesetzt werden sollen
  • Zuordnung der Lehramtsstudierenden, die Unterricht erteilen, zu einer erfahrenen Lehrkraft: gemeinsame Planung von Unterricht, wenigstens aber eine Abstimmung über den Einsatz von Aufgaben, Material und Leistungskontrollen
  • Coaching und (Gruppen)-Supervision
  • Trainings zur Klassenführung und zur Gesprächsführung

Zusätzliche Lebenszeit

  • Begrenzung von Teilzeitarbeit
  • Einschränkung von Sabbatmodellen

Dem stehen diese etwas mageren Ideen zu Entlastungen gegenüber:

  • Achtsamkeitstraining
  • eMental-Health-Angebote

Fazit: Die Lehrer:innen sollen also in größeren Klassen mehr Unterrichtsstunden erteilen und mit zusätzlichen Coaching- und Koordinierungsaufgaben belegt werden. Ihren Belastungserfahrungen begegnet man dann mit verordneten Supervisions- und Trainingsangeboten. Statt gemeinsam mit Lehrer:innen und deren Fachverbänden eine seriöse Ursachenforschung zu betreiben, wird hier ein System fortgeschrieben, dass es grundlegend zu hinterfragen gilt. Statt Fortschritt herrscht also weiterhin rasender Stillstand.

Während überall Förderangebote für die strukturelle Entwicklung ländlich geprägter Gemeinden und Dörfer geschaffen werden, fällt der folgende Vorschlag wohl endgültig aus der Zeit: „Im Interesse der Versorgung aller Schulen mit einem qualitativ hochwertigen Unterrichtsangebot bzw. gut qualifizierten Lehrkräften empfiehlt die SWK eine systematische regionale Schulentwicklungsplanung mit dem Ziel, kleinere Schulen zu größeren Einheiten zusammenzufassen. Ein entsprechendes verlässliches Transportangebot muss bereitgestellt werden.“ Wollen wir wirklich noch mehr aussterbende Dörfer ohne Schule, die unattraktiv werden für junge Familien, weil ihre Kinder ihre wertvolle Lebenszeit in Schulbussen verbringen? Zumindest an Orten, an denen es dann keine Schulen mehr gibt, ist das Problem des Lehrer:innenmangels endgültig gelöst.

(Georg Biegholdt & Jürgen Oberschmidt)